TOP 100

„Let’s make an impact“

22. Oktober 2025
10 Min.
Von Sandy Strasser

Stellen Sie sich vor, ein Investor will Ihre Firma kaufen – für hunderte Millionen Euro! Der Traum eines jeden Unternehmers, oder? Dr. Philipp Baaske bekam so ein Angebot – und hat nein gesagt. Warum? Das erzählt uns der Geschäftsführer von NanoTemper Technologies im Interview.

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top100.de: Hallo Philipp, schön, dass du mein Gast bist!

Dr. Philipp Baaske: Hallo Sandy, danke für die Einladung!

Philipp, dein Unternehmen baut Instrumente, die Unsichtbares sichtbar machen. Um was geht’s genau?

Es geht darum, neue Medikamente zu entwickeln – vor allem gegen Krebs. Für mich ist das sehr persönlich, denn vor 20 Jahren bekam meine Mutter die Diagnose Brustkrebs. Die Aussichten waren schlecht, doch ein Antikörper-Medikament hat ihr das Leben gerettet.

Weshalb muss man dafür das Unsichtbare sichtbar machen?

Antikörper sind winzig und unfassbar komplex. Stell dir vor, Aspirin wäre ein Fahrrad. Ein Antikörper ist dagegen so komplex wie ein Jumbojet. Und genau da kommen wir von NanoTemper ins Spiel: Mit unseren Instrumenten machen wir diese unsichtbaren Strukturen sichtbar und kontrollierbar, damit Medikamente schneller und sicherer zu den Menschen gelangen, die sie brauchen.

© Simon Koy
Dr. Philipp Baaske, Geschäftsführer NanoTemper Technologies GmbH

„Let’s make an impact together“ – das ist die Philosophie, die dich leitet, bei allem, was du machst. Diese Philosophie hast du auch in dein neues Buch „The Honorable Entrepreneur“ einfließen lassen. Darin geht’s um eine ungewöhnliche Business-Entscheidung: Du bekamst das Angebot, dein Unternehmen für hunderte Millionen Euro zu verkaufen – und hast dich dagegen entschieden. Wie kam es zu diesem Angebot?

Das Angebot kam überraschend und ohne Vorankündigung. Es war ein Sonntag, mein Handy piept und ich denke: Wer schreibt mir denn an einem Sonntag eine SMS? Dann sehe ich die Nachricht: Ein amerikanisches Unternehmen bietet mir ein Vielfaches unseres Umsatzes – und das ausdrücklich als Einstiegsangebot. Natürlich war ich aufgeregt und überrascht. Wir haben allerdings gewusst, dass viele große Unternehmen an uns interessiert sind. Hierzu muss man wissen, dass NanoTemper weltweit einzigartig ist. Wir sind das einzige Unternehmen in unserer Branche, das komplett in Gründerhand ist – ohne Investoren, ohne Konzern im Rücken. Und dazu profitabel, mit sehr gutem Wachstum und sehr guten Zukunftsaussichten. Genau das hat uns für die Amerikaner interessant gemacht.

Was ging dir durch den Kopf, als du dich dagegen entschieden hast?

Ich war selbst erstaunt. Diese Unmenge an Geld hat mich überhaupt nicht gereizt. Etliche hundert Millionen Euro auf einem Konto zu haben, das hat bei mir nichts ausgelöst. Was mir aber sofort durch den Kopf ging, war etwas anderes: Was wird ein Konzern aus NanoTemper machen? Aus meinem Baby, das noch so viel Potenzial hat? Was wird aus den Mitarbeitenden, die hier ihre Freiheit ausleben können, mit denen es so unglaublich Spaß macht, zusammenzuarbeiten?

Aber natürlich habe ich auch überlegt: Was könnte ich mit all dem Geld machen? Welche Ideen könnte ich verwirklichen, welchen Einfluss könnte ich haben? Aber dann wurde mir klar: Ich habe keine bessere Idee als NanoTemper. Das ist genau das, was ich machen will. Und logisch gesehen: Wenn jemand bereit ist, heute dieses Vielfache zu bezahlen, warum sollte ich verkaufen, wenn wir in ein paar Jahren genau diese Summe jedes Jahr verdienen können?

Am Ende war es aber eine emotionale Entscheidung, denn ich komme aus einfachen Verhältnissen – meine Mutter war Kindergärtnerin, mein Vater Elektriker und lange Zeit arbeitslos. Im Vergleich dazu habe ich schon so viel erreicht. Warum also jetzt verkaufen? Für mich ging es um mehr: um unser Baby, um die Menschen, um das, was wir noch gemeinsam schaffen.

© Simon Koy
Ein Glaskapillaren-Chip zur hochpräzisen optischen Vermessung der Qualität von Medikamenten.
© Simon Koy
Herstellung einer Elektronikplatine für die optische Hochleistungssensorik.
© Simon Koy
Biophysikalische Messgeräte, mit denen weltweit etwa 20 % aller potenziellen Wirkstoffe untersucht werden.

Viele denken jetzt bestimmt trotzdem „Wie kann er so ein Angebot nur ablehnen?“

Es gibt ja das Sprichwort „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ In meinem Fall habe ich mich für die Taube entschieden, weil ich – wie auch der damalige Kaufinteressent – noch riesiges Potenzial gesehen habe. Und ich war überzeugt davon, dass wir diese Zukunft besser eigenständig erreichen können, als wenn wir ein kleiner Teil eines Konzerns wären. Dort wären wir vielleicht nicht wichtig genug gewesen und im Zweifel irgendwann weggekürzt worden.

Und dann ist da mein größter Antrieb: die unternehmerische Freiheit – meines Schicksals eigener Schmied zu sein. Gestalten zu können. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, mir von einem Konzernchef vorschreiben zu lassen, was ich tun und lassen soll. Genau diese Freiheit macht Innovation möglich. Sie macht es möglich, eine diverse, lebendige Kultur aufzubauen. All das nur für Geld aufzugeben, das war es mir nicht wert. Ich hätte das Gefühl gehabt, meine Werte zu verraten.

Du standst im Prinzip an einer Weggabelung: kurzfristiger Reichtum oder Selbstverwirklichung als Unternehmer. Ein Dilemma, das der ein oder andere Mittelständler bestimmt kennt. Wie findet man denn aber die Balance zwischen finanziellem Ehrgeiz und ehrbarem Unternehmertum?

Für mich gehört beides zusammen – finanzieller Ehrgeiz und ehrbares Unternehmertum. Ich sehe es als meine Pflicht an, profitabel zu sein, um Steuern zu bezahlen, Arbeitsplätze zu schaffen und so die Infrastruktur zu finanzieren, von der wir alle leben. Dieser Gedanke ist für mich sehr persönlich. Wie gesagt, ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Meine Chancen hatte ich nur, weil Bildung in Deutschland kostenlos war – Schule, Gymnasium, Uni, Promotion. Ohne das gäbe es mich als Unternehmer gar nicht. Und genau deshalb will ich etwas zurückgeben. Nicht einmalig durch einen Verkauf, sondern jedes Jahr, durch stabile Gewinne, durch Arbeitsplätze, durch Steuern.

Was ich nicht ehrbar fände, wäre ein Konstrukt aufzusetzen, das mir erlaubt, beim Verkauf möglichst wenig Steuern zu zahlen. Für mich wäre das ein Verrat an dem, was mir gegeben wurde. Genau das ist der Kern meines „Code of Honor“: Unternehmerisch erfolgreich sein, aber immer eng verbunden mit der Gesellschaft, die einen hervorgebracht hat.

„The Code of Honor“ sind also nicht einfach nur Werte, sondern eine Reihe von Grundsätzen, die nicht nur bestimmen, wie wir Unternehmen aufbauen, sondern auch definieren, wer wir zum Beispiel als Führungskräfte sind.

Ja, genau.

© Simon Koy
v. l. n. r.: Dr. Philipp Baaske und Prof. Carsten Rudolph (Leiter von BayStartUp) bei ihrer Keynote über den "Neuen Mittelstand" bei der Preisverleihung des "Münchner-Business-Plan"-Wettbewerbs.

Ethische Entscheidungen wirken im Alltag zwischen Preisdruck und Fachkräftemangel ja oft wie Luxus. Welche Prinzipien aus deinem „Code of Honor“ können besonders Mittelständler sofort anwenden? Und wie schafft man es, dass auch die Mitarbeiter im Unternehmen diesen Prinzipien ernsthaft folgen?

Erstens: Für mich beginnt alles mit Vertrauen. Ohne Vertrauen kann man kein Unternehmen bauen. Wenn Menschen mir nicht vertrauen, folgen sie mir auch nicht. Also muss mein Wort gelten. Ein Versprechen ist ein Versprechen – Punkt.

Zweitens: Menschen zuerst. Am Ende geht’s nicht um Zahlen, sondern um Menschen. Ich will, dass mein Team fair bezahlt wird, dass wir respektvoll miteinander umgehen und dass jeder den Raum hat, sein Bestes zu geben. Starke Unternehmen entstehen nicht durch den Chef, sie entstehen durch starke Teams.

Drittens: Innovation muss Wirkung haben. Es geht nicht darum, die lauteste Schlagzeile zu machen oder die schickste Technik, sondern darum, echte Probleme zu lösen. Dinge zu bauen, die die Branche verändern – und die auch noch in zehn Jahren Bestand haben. Wenn ich das Tag für Tag vorlebe, dann wird es auch Teil der Kultur. Mitarbeiter folgen nicht schönen PowerPoints, sondern Taten.

Definitiv! Wie gibt man seinem Team denn Orientierung, wenn Märkte unsicher sind und man selbst nicht alle Antworten hat auf die Fragen unserer Zeit?

Ich versuche immer ehrlich zu sein. Wenn es stürmt, dann sage ich das auch. Ich nutze oft das Bild vom Schiff: Wir segeln im Sturm, es wird hart, wir werden Narben davontragen, aber wir kommen gemeinsam in den sicheren Hafen. Das schafft Vertrauen. Und es knüpft an unsere Erfahrung an, denn wir haben schon einige Krisen überstanden. Und ja, es gab auch mal harte Einschnitte. Am Ende sind wir aber fast immer stärker herausgekommen – oft sogar stärker als die Konkurrenz. In solchen Zeiten nehme ich mir besonders viel Zeit, zuzuhören. Ich sage aber auch klar, wenn ich selbst nicht alle Antworten habe. Wichtig ist dann: agil bleiben und uns anpassen können. Und meine Leute wissen, dass mein Wort gilt. Wenn ein Arbeitsplatz wackelt, sage ich es offen. Genau diese Ehrlichkeit gibt Orientierung, weil alle spüren, dass wir keine Opfer des Schicksals sind. Wir halten das Steuer in der Hand und wir schaffen es gemeinsam.

Eine sehr schöne Metapher. Philipp, du sagst außerdem „Staying true to yourself makes you unstoppable.“ Wann war es für dich bislang am schwersten, diesem Prinzip treu zu bleiben?

Am schwersten war es ganz am Anfang von NanoTemper – vor über 17 Jahren. Damals stand ich kurz davor, auf einen Business-Angel hereinzufallen. Viel Geld, große Versprechen, aber im Kern ging es ihm nur um eins: sich selbst zu bereichern. Innovation, Forschung, Nutzen für Patienten – das alles spielte für ihn überhaupt keine Rolle. Ich war schon fast in der Falle. Erst im letzten Moment habe ich das Ruder herumgerissen und das hat mich stark geprägt. Was mir dabei geholfen hat, war mein innerer Kompass – mein Ehrenkodex, der natürlich auch Profitabilität berücksichtigt. Aber eben genauso, dass Innovation wirken muss. Innovation muss echten Mehrwert schaffen – für die Wirtschaft, für die Gesellschaft, für die Patienten. Genau daran festzuhalten, hat mich davor bewahrt, einen falschen Weg zu gehen. Und es hat mich gelehrt, dass wirkliche Stärke erst dann entsteht, wenn man sich selbst treu bleibt.

© Simon Koy
Dr. Philipp Baaske, Geschäftsführer NanoTemper Technologies GmbH

Innovation braucht also Impact, nicht nur Buzzwords. Wie erkennt ein Mittelständler den Unterschied? Und: Wie erreicht man diesen Impact? Was nährt ihn?

Innovation hat nur dann Wert, wenn sie echte Probleme löst. Und dafür muss ich zuerst den Kunden verstehen, nicht die Technik. Ein Beispiel: Beim Rasenmähen könnte ich überlegen, wie ich den Mäher günstiger, schneller oder umweltfreundlicher mache. Das ist klassische Produktverbesserung. Aber die eigentliche Frage ist doch: Warum mähen wir überhaupt? Weil wir den Rasen in einer bestimmten Länge haben wollen. Und dann kann die Lösung plötzlich ganz anders aussehen. Vielleicht muss es gar kein Rasenmäher sein, vielleicht lässt sich ein Gras züchten, das einfach nicht höher wächst. Ziel erreicht, Problem gelöst. Denn genau darum geht’s: Nicht in Technik oder Perfektion verliebt zu sein, sondern beim Kunden sein, das Problem verstehen und dann die beste Lösung finden, auch wenn sie völlig anders aussieht, als man am Anfang dachte.

Also einfach machen! Dabei sind Methoden wie Scrum, OKR oder auch KI-Tools heute ja in aller Munde. Wie viel davon braucht der klassische Mittelstand denn wirklich?

Ich glaube, es gibt nicht das eine Tool für alles. Wir bei NanoTemper nutzen seit über fünf Jahren OKRs, das funktioniert für uns gut. Und natürlich setzen wir KI ein, schon seit 2014, in enger Zusammenarbeit mit Forschern wie Fabian Theis. Aber für mich gilt: Tools sind Werkzeuge, keine Religion. Scrum kann in der Softwareentwicklung hervorragend funktionieren, in der Produktion dagegen oft gar nicht. Die Gefahr ist, dass Methoden zum Selbstzweck werden. Dass man etwas einführt, weil es „hip“ ist. Doch entscheidend ist nicht das Tool, sondern was es bewirkt.

Um innovativ zu sein, zählt also etwas anderes?

Ja, genau. Es zählt Kundennähe, rausgehen, verstehen, wofür Kunden wirklich bereit sind zu zahlen. Und dann flexibel bleiben und sich anpassen. Ein Tool sollte immer helfen, dieses Ziel zu erreichen. Es muss eine Strategie unterstützen, nicht umgekehrt. Und wie du schon gesagt hast, einfach mal machen und nicht am Anfang erstmal nach Tools suchen.

Philipp, wenn du morgen einen mittelständischen Betrieb übernehmen müsstet, welche drei Dinge würdest du in jedem Fall prüfen, um sicherzustellen, dass das Unternehmen für die Zukunft gut aufgestellt ist?

Erstens: den Markt. Wächst er, schrumpft er, welches Potenzial steckt drin? Zweitens: die Technologie. Ist sie zukunftsfähig, bringt sie uns wirklich weiter? Und drittens, und das ist das Wichtigste: die Menschen.

Ein Unternehmen ist ja auch so eine Art „lebender Organismus“.

So ist es. Strukturen sind zwar wichtig, aber entscheidend sind immer die Menschen. Sind sie bereit zu lernen, sich anzupassen, Veränderungen mitzugehen? Haben sie schon positive Erfahrungen damit gemacht? Als wir kürzlich ein schwedisches Unternehmen übernommen haben, haben wir genau das angeschaut: Die Technologie, um unsere Innovationskraft auszubauen – und die Menschen, die Lust haben, diese Zukunft mitzugestalten.

Auch das war bestimmt eine spannende Erfahrung für dich …
Philipp, wenn du den Mittelstand mit nur einem Satz inspirieren müsstest: Warum lohnt es sich, den Weg des „ehrbaren Unternehmers“ zu gehen?

Ehrbares Unternehmertum heißt: frei handeln, Sinn stiften und dauerhaft erfolgreich sein.

Welch schöner Satz zum Abschluss unseres Gesprächs!
Lieber Philipp, ich danke dir sehr, dass du mein Gast warst und hoffe, dass sich ganz viele Mittelständler von dir inspiriert fühlen!

Ich danke dir, Sandy! Hat sehr viel Spaß gemacht!

© blende11 Fotografen

Lesestoff, der sich wirklich lohnt – und Gutes stiftet

„The Honorable Entrepreneur“ von Dr. Philipp Baaske ist ab dem 23.10.2025 im Handel erhältlich. Hier geht’s zum Buch.