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So bringen zwei Pflegefirmen ihre Branche in Schwung

4. Juni 2025
6 Min.
Von Christoph Klawitter

Beharrlich bleiben – irgendwann ist das sprichwörtliche dicke Brett durchgebohrt: So fühlt es sich für die beiden Top-Innovatoren PflegeButler und BeneVit mitunter an, denn die beiden innovativen Unternehmen sind in der stark reglementierten Pflegebranche beheimatet. Jetzt ist die bundesweite Umsetzung eines großen Innovationserfolgs greifbar.

So ganz traut Kaspar Pfister der Sache noch nicht. Lange hat der Inhaber des Pflegeunternehmens BeneVit aus Mössingen bei Tübingen für die Anerkennung seines innovativen Pflegemodells Stambulant gekämpft, das eine Mischung aus stationärer und ambulanter Pflege ist. Zäh war die Überzeugungsarbeit, die er und sein Team leisten mussten. Jetzt hat es dieser Innovationserfolg in den Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Bundesregierung geschafft: Eine Bund-Länder-Kommission, so steht es im Vertragswerk von Union und SPD, soll eine Pflegereform ausarbeiten und Modellprojekte wie Stambulant in die Regelversorgung überführen.

Regelversorgung bedeutet, dass diese Konzeption zulässig ist und die Pflege- und Krankenkassen diese Leistungen auch bezahlen. Dazu müsste das Projekt im Sozialgesetzbuch verankert werden. „Meine ganz persönliche Erfahrung ist: Wenn sich Politik nicht sicher ist, gründet sie eine Kommission“, ist Kaspar Pfister noch skeptisch. „Von daher ist in dem Champagner auch ein Wermutstropfen.“ Gleichwohl habe er Signale aus der Politik erhalten, dass das Vorhaben auch wirklich umgesetzt werde. „Ich glaube es aber erst, wenn es im Bundesgesetzblatt steht“, fügt er hinzu.

© BeneVit / Steffen Roth
Hofft darauf, dass sein innovatives Konzept endlich anerkannt wird: Kaspar Pfister, Gründer und Inhaber von BeneVit.

Stambulant wird auch als „Mitmach-Pflegeheim“ bezeichnet. Pflegebedürftige Menschen wohnen dabei in insgesamt vier Wohngemeinschaften, jeweils mit Bewohnerzimmer, gemeinsamer Küche und Wohnzimmer. Sie können sich in den Arbeiten des Alltags, beispielsweise beim Kochen, einbringen, und je nach Bedarf zu den Grundleistungen auch ambulante Leistungen dazu buchen. Ebenso können sich die Angehörigen der Bewohner miteinbringen und einzelne Leistungen verantwortlich übernehmen. Gewollter Effekt: Die Senioren bewahren sich länger ihre Eigenständigkeit, bleiben länger mobil.

Laut BeneVit verbessert sich bei über 30 Prozent der Bewohner der Allgemeinzustand so sehr, dass sie entweder im Pflegegrad zurückgestuft werden oder wieder in ihr Zuhause zurückgehen können. Zudem ist der Eigenanteil demnach um bis zu 1.000 Euro pro Monat günstiger und Pflegekassen sparen bis zu 5000 Euro pro Versichertem und Jahr im Vergleich zu einer rein stationären Unterbringung.

Bislang war diese innovative Form der Altenpflege nur als Modellprojekt möglich – deshalb das große Ziel, es in die Regelversorgung einzuführen. BeneVit hat es bisher an seinem Standort Wyhl am Kaiserstuhl / Baden-Württemberg verwirklicht. Ende vergangenen Jahres drohte das Aus des Modellprojekts, weil nach über acht Jahren Erprobung keine Verlängerung des Modellstatus rechtlich möglich war, doch dank einer Sonderregelung darf das zweifache TOP 100-Unternehmen es nun doch weiterbetreiben.

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Bei Stambulant dürfen die Bewohner mit anpacken - hier wird gerade gemeinsam gekocht.

Sechs Gutachten und noch immer keine Anerkennung

Rätselhaft erscheint, warum BeneVit seit Jahren für die Anerkennung seines Modellprojekts kämpfen muss, sechs Gutachten – übrigens laut BeneVit mit durchgängig positiven Ergebnissen – wurden zwischenzeitlich angefertigt. Eine genaue Antwort darauf kennt auch Kaspar Pfister nicht. „Für Stambulant braucht es keine Zuschüsse. Das ist eigentlich das Paradoxe“, sagt er. In Deutschland glaube man eben vermutlich immer noch, dass bessere Pflege automatisch bedeute: „Mehr Geld, mehr Personal.“ Wenn dann ein Pflegeunternehmen komme und sage, man brauche keine Zuschüsse und könne trotzdem die Situation der Pflege mit einem innovativen Konzept verbessern, ja sogar den Eigenanteil der Pflegebedürftigen reduzieren und Geld für die sozialen Versicherungssysteme sparen, stoße das auf Unverständnis. Überhaupt findet der Unternehmer, dass in der Branche eigentlich genug Geld im System vorhanden ist. „Wir haben genügend Ressourcen. Die Effizienz aber fehlt“, sagt er. Wenn er sehe, dass weniger als die Hälfte der bezahlten Arbeitszeit als direkte Pflege beim pflegebedürftigen Menschen ankomme, dann stimme etwas nicht mehr.

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Ein Vorreiter seiner Branche: Alexander Cito Aufenacker mit der TOP 100-Trophäe.

Projekte wie Stambulant sprengen die herkömmliche scharfe Trennung zwischen ambulanter und stationärer Pflege. Eine unflexible Trennung, mit der auch das Unternehmen PflegeButler mit seinem Geschäftsführer Alexander Cito Aufenacker so seine Erfahrungen gemacht hat. Das TOP 100-Unternehmen ist auf ambulant betreutes Wohnen spezialisiert, mit integrierter Tagespflege. „Sind wir ambulant, sind wir stationär? Nein, wir kombinieren das Beste aus beiden Angeboten“, bringt Aufenacker es auf den Punkt. Er kritisiert das „Schubladendenken“ sowohl in der Politik als auch bei den Kassen und spricht sich dafür aus, sektorenübergreifender zu denken.

Anstatt in ein stationäres Pflegeheim zu gehen, können die Senioren bei PflegeButler ein Apartment buchen und individuelle Wahlleistungen in Anspruch nehmen. Sie können ihren Tagesablauf selbst gestalten, ob mit oder auch ohne Angehörige. Damit kombiniert die Unternehmensgruppe ambulante und teilstationäre Pflege mit einem selbstbestimmten Lebensstil der Bewohner. Abwechslung bieten zudem auch die zahlreichen Gemeinschaftsaktionen, beispielsweise gemeinsame Ausflüge. Das Geschäftsmodell von PflegeButler vergleicht Geschäftsführer Alexander Cito Aufenacker gerne mit einem „Urlaubsclub für Senioren“.

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Ausflug an den See: Bei PflegeButler wird auf gemeinsame Aktivitäten viel Wert gelegt.

Die Babyboomer-Generation will eine andere Pflege

Aus der Warte des Praktikers sieht Alexander Aufenacker aktuell drei Handlungsfelder für die neue schwarz-rote Bundesregierung: Als erstes müssten die Kosten gesenkt werden. „Weil sich viele schlicht würdevolle stationäre Pflege nicht mehr leisten können“, verdeutlicht er mit Blick auf die stagnierende Belegungszahl stationärer Heimplätze. Deshalb würden die ambulanten Pflegedienste derzeit konstant und stetig bei den Marktanteilen zulegen. Bei Kosten von im Schnitt von rund 3.500 Euro pro Monat für einen stationären Pflegeheimplatz sei das auch nicht überraschend, ergänzt er.

Zweiter Punkt: „Man kann viele administrative und dokumentennahe Prozesse digitalisieren oder schlicht auch einstampfen“, sagt Aufenacker mit Blick auf seine Branche. Und drittens brauche es mehr Offenheit für neue Wohnformen. Letzteres ist auch eine Generationenfrage, wie der Top-Innovator bemerkt. Die Babyboomer-Generation, also die künftigen „Alten“, wollten auf Sicherheit im Alter nicht verzichten, aber im betreuten Wohnen und in modernen Wohnformen leben. „Die wollen ihr eigenes persönlich gestaltetes Zimmer, die wollen auch ein vernünftiges, ansehnliches Essen“, sagt er.

PflegeButler zählt mit zirka 2.000 Plätzen zu den größten Betreibern von Tagespflegen. Das geplante neue Pflegekompetenz-Gesetz sieht Aufenacker mit Sorge. Dort ist angedacht, dass es künftig so genannte niedrigschwellige Tagesbetreuungsgruppen geben könnte für Personen mit Tagespflege-Bedarf. „Niedrigschwellig“ würde hier bedeuten, so Aufenackers Befürchtung, dass diese Gruppen ohne ausgebildete Fachkräfte „irgendwo und überall“ arbeiten könnten und deshalb günstigere Preise im Sinne einer Billigkonkurrenz bieten könnten. Was speziell reinen Tagespflegeanbietern, die mit ausgebildeten Fachkräften und damit auf hohem Niveau arbeiteten, das wirtschaftliche Handeln unnötig schwerer machen könnte, so Aufenacker. Zumal die Refinanzierung der Pläne in Höhe von bis zu 50 Prozent aus dem bestehenden Tagespflegebudget kommen solle, ergänzt er.

Apropos Fachkräfte: Auch die Pflegebranche bleibt vom allerorten zu spürenden Fachkräftemangel nicht verschont. Wobei sich die Konditionen für Pflegebeschäftigte in den vergangenen Jahren deutlich verbessert haben: So können ausgebildete Fachkräfte mit Berufserfahrung laut den Aussagen von Aufenacker und Pfister durchaus mit 4500 bis 5000 Euro Bruttogehalt im Monat (inklusive Zuschläge) rechnen.

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Bei PflegeButler - hier ein Standort der Unternehmensgruppe - können die Bewohner ihren Wohnraum individuell gestalten.

Sei es das „Mitmach-Pflegeheim“ von BeneVit, sei es der „Urlaubsclub für Senioren“ von PflegeButler – beide Unternehmen brechen gewohnte Denkmuster auf und setzen auf Neuerungen. Oder wie es Alexander Cito Aufenacker auch mit Blick auf seinen Branchenkollegen Kaspar Pfister sagt: „Wir sind echte Innovatoren in unserer Branche.“