Mike Tyson wurde einmal gefragt, wie er mit Gegnern umgehen würde, die seinen Kampfstil analysiert und einen Masterplan gegen ihn entwickelt hätten. Die Antwort des damals als unbesiegbar geltenden Boxers: „Everyone has a plan 'till they get punched in the mouth“. Das gilt auch für das Innovationsmanagement.
Es klingt wie eine unternehmerische Selbstverständlichkeit: Je weiter der Planungshorizont gefasst ist, desto klüger ist die strategische Zielsetzung und desto effizienter der Weg dorthin. Langfristige Planung bedeutet, dass die Verantwortlichen mehrere mögliche Ereignisse einbeziehen und „vom Ende her“ denken können. Die Orientierung am „Big Picture“ verhindert blinden Aktionismus und man vermeidet es, sich in widersprüchlichem Kleinklein zu verzetteln. Das traditionelle Mantra der Betriebswirtschaft ist es daher, möglichst langfristig und genau zu planen. Das Problem: Es wird anders kommen.
Das Zitat von Mike Tyson macht auf ein fundamentales Planungsproblem aufmerksam: Es ist unmöglich, alle dem Plan zugrunde liegenden Entwicklungen langfristig korrekt zu prognostizieren. Selbst bei einem Spiel wie Schach mit klar definierten Figuren und einfachen Regeln wächst die Zahl der möglichen Stellungen explosionsartig. Während es für den ersten Zug (weiß und schwarz) überschaubare 400 Möglichkeiten gibt, steigt die Zahl der denkbaren Stellungen auf über 300 Milliarden nach dem vierten Zug. Für den Zehnten sind es bereits mehr als 1023, also 100.000 Milliarden – eine vollkommen unübersehbare Menge.
Und das wahre Leben ist nicht nur weitaus komplizierter als Schach, die Entwicklungen auf der Welt sind in höchstem Maße chaotisch, turbulent, sprunghaft, schnell und unvorhersehbar geworden. Je langfristiger also der Plan ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er auf falschen Annahmen aufbaut, Möglichkeiten und Bedrohungen übersieht oder in die falsche Richtung führt. Es ist daher zu befürchten, dass der schöne langfristige Plan durch einen hässlichen Schlag obsolet gemacht wird, etwa durch einen technologischen Durchbruch, eine Krise bei Lieferanten, neu eintretende Wettbewerber, sich unerwartet ändernde Kundenbedürfnisse, die Kündigung eines Schlüsselmitarbeiters, eine plötzliche Änderung der Rechtslage oder eine politische Krise.
Das Problem ist dabei natürlich nicht der Plan selbst, sondern das starre Festhalten daran und das Fehlen einer Alternative. Im schlechtesten Fall klammert man sich an den Plan wie ein Boxer an die Seile, während der Gegner auf einen einschlägt. Solche Unternehmen landen dann unweigerlich K.O. auf den unternehmerischen Brettern.
Das Problem der eingeschränkten Planbarkeit gilt besonders bei Innovationen. Dies hat zwei Gründe: Erstens ist es hier besonders schwer, richtige Prognosen zu geben. Innovation bedeutet nun einmal definitionsgemäß, dass man es mit etwas Neuem zu tun hat. Der Weg zum Ziel ist unbekannt, ja oft ist auch das Ziel selbst unbekannt oder muss im Verlauf des Prozesses geändert werden. Oder es tun sich unerwartete Chancen auf. Man denke an ein Unternehmen wie Youtube, das ursprünglich als Video-Dating-Website gestartet wurde. Wären die Gründer bei ihrem ursprünglichen Plan geblieben, dann hätte vermutlich jemand anderes die größte Videoplattform der Welt geschaffen. Sinnvollerweise wird der Plan also permanent umgeschrieben.
Der zweite Grund ist, dass Planen selbst Zeit kostet – und die ist bei Innovationsprozessen besonders wertvoll. Je schneller ein Produkt auf den Markt kommt, desto besser ist das normalerweise. Zeitverlust durch aufwendige Langfristplanung schmerzt.
Moderne Methoden des Innovationsmanagements wie das „Lean Start-up-Konzept“ oder „Scrum“ akzeptieren daher, dass perfekte langfristige Masterpläne zwangsläufig unmöglich sind. Ihre Kernprinzipien sind Offenheit für Entwicklungen, Ideen und Chancen, wo immer sich diese zeigen, ein möglichst paralleles und breit gestreutes Experimentieren mit „minimalen“ Prototypen und das permanente Einholen von Markt-Feedbacks, schnelles Lernen und vor allem: die sofortige Umsetzung.
Die besten Voraussetzungen für Flexibilität und Schnelligkeit haben kleine Unternehmen. Sie werden nicht durch die Trägheit von Bürokratie, Koordinationsproblemen und alle möglichen Partikularinteressen gebremst, wie dies bei zentral organisierten Großunternehmen der Fall ist. Es verwundert daher nicht, dass ein großer Teil der bahnbrechenden Innovationen der vergangenen Jahre – Suchmaschinen (Google), soziale Netzwerke (Facebook), Online-Shopping (Amazon), Kurznachrichten (WhatsApp) etc. – von Start-ups entwickelt wurden. Große Unternehmen versuchen daher, genau diese Prinzipien möglichst zu kopieren und zu implementieren. Dass dies möglich ist, zeigt die anhaltende Innovativität von Unternehmen wie Amazon oder Apple.
Quellenhinweis
Der Beitrag erschien ursprünglich in der Januar-Ausgabe des Newsletters „Entrepreneurship & Innovation Insights“ der Executive Academy der WU Wien und wurde für diesen Blog leicht überarbeitet.
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Prof. Dr. Nikolaus Franke ist Leiter des Instituts für Entrepreneurship und Innovation der Wirtschaftsuniversität Wien, des WU Gründungszentrums und der User Innovation Research Initiative an der WU Wien sowie Akademischer Leiter des „Professional MBA Entrepreneurship & Innovation“, der gemeinsam mit der TU Wien und der WU Executive Academy angeboten wird. Ferner war Franke Gastforscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und fungiert als wissenschaftlicher Leiter des Innovationswettbewerbs TOP 100.
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